Praxisfall:
Der Betrieb mit 70 Kühen liegt in der Nähe von Bremervörde im Norden von Niedersachsen. Der Betriebsleiter* und eine weitere halbe Arbeitskraft kümmern sich um die Hochleistungsherde, die im gleitenden Herdendurchschnitt 10.200 kg Milch leistet.
Der Hoftierarzt* ist Teilhaber einer Gemischtpraxis (Schwerpunkt Rinder) mit sieben Tierärzten und spezialisiert auf Bestandsbetreuung und Fütterungsberatung. 15 Betriebe werden von ihm regelmäßig einmal im Monat zu einem bestimmten Termin besucht.
*In diesem Praxisfall steht das systematische Vorgehen im Bestand im Vordergrund, nicht die Identität der Personen.
Tierarzt: „Wir bieten den Landwirten hier auch KB (Künstliche Besamung) an. Der Besamungserfolg ist in den letzten Jahren merklich schlechter geworden. Ein BI (Besamungsindex) von 2,0 ist schon ganz gut, manche Betriebe liegen bereits bei 2,6. Da muss man sich dann den Vorwurf anhören, man könne die Kühe nicht gut besamen, und Landwirte wechseln zu Besamungstechnikern oder setzen einen Deckbullen ein. Der Besamungserfolg hängt aber nicht nur an der Technik der KB und der Spermaqualität. Da spielen viel mehr Faktoren eine Rolle, die man nur im Rahmen der tierärztlichen Bestandsbetreuung aufdeckt.“
In der folgenden Betriebsreportage zeigt der Tierarzt aus Norddeutschland anhand eines Praxisbeispieles, was er unter tierärztlicher Bestandsbetreuung versteht:
Nur wer die Zahlen kennt, kann etwas verbessern
Vor jedem Betriebsbesuch verschafft er sich einen Überblick über die aktuellen Milchkontrolldaten und die wirtschaftlich wichtigsten Kennzahlen: Dazu gehören in erster Linie die Abgangsraten, der Fruchtbarkeits- und Krankheitsstatus, die in Tabelle 1 zusammengestellt sind.
Abgangsraten der laktierenden Herde | IST | Zielwerte | |
---|---|---|---|
Anzahl laktierender Kühe | 65 | ||
Abgangsrate wegen Unfruchtbarkeit | 11 % | < 8 % | |
Lebensleistung der Abgänger | |||
Laktationen | 2,6 | mehr als 4 | |
Lebenseffektivität (Mkg/Lebenstag) | 14,0 | 15,0 | |
Fruchtbarkeit | |||
Rastzeit | 115 | < 85 Tage | |
Güstzeit | 144 | < 115 Tage (Leistung > 9,500 kg) | |
Voraussichtliche Zwischenkalbezeit | 425 | < 405 Tage (Leistung > 9,500kg) | |
Trächtigkeitsrate nach Erstbesamung | 55 % | > 50 % | |
Trächtigkeitsindex | 1,7 | < 1,7 | |
Konzeptionsrate | 50 % | > 50 % | |
Besamungsindex | 2,0 | 1,8 - 2,0 | |
Gesamtträchtigkeitsrate | 86 % | > 90 % | |
Krankheitsraten im Jahr 2009 | |||
Milchfieber | 1,6 % | < 5,0 % | |
Nachgeburtsverhaltung | 1,6 % | < 10 % | |
Klinische Mastitis pro Monat | 0,4 % | < 2 % | |
Klinische Stoffwechselstörung | 0 | < 5 % | |
Labmagenverlagerung | 3,1 % | < 5 % |
Übersichtliche Dokumentation mit Ankreuzlisten
Der Kennzahlenüberblick zeigt, dass die Herde bei hoher Leistung einen vorbildlichen Gesundheitsstatus hat. Auffällig sind nur die deutlich zu langen Rast und Güstzeiten und die leicht erhöhte Abgangsrate wegen Unfruchtbarkeit.
Gerade zu den Krankheitsraten gibt es in vielen Betrieben häufig keine einfach und schnell auswertbaren Aufzeichnungen. Auf dem Beispielbetrieb werden die Krankheitsraten mit Hilfe einer einfachen Strichliste erfasst und nach Bedarf monatlich, halbjährlich oder wie hier jährlich ausgewertet.
Landwirt: „Ich würde ja auch gern früher besamen, aber Kühe und Färsen sind häufig erst ab einer Rastzeit von 120 Tagen in einer halbwegs akzeptablen Besamungskondition (BCS mindestens 2,75). Ich habe hier oft Kühe, die viel Milch geben (50–60 kg) und sehr dünn sind (BCS 2,25). Die würden nicht aufnehmen, darum besame ich erst dann, wenn Sie mindestens eine Körperkonditionsnote von 2,75 haben und das dauert auch schon mal bis zum 150. Tag.“
Intensive Tierbeobachtung
Die Brunstbeobachtung in diesem Betrieb ist hervorragend. Die Brunsterkennungsrate liegt bei 80–90%. Die Brunstnutzungsrate, also der Prozentsatz der Tiere, die bei Brunst auch besamt werden, ist dagegen aufgrund der Besamungsentscheidung nach Körperkondition sehr niedrig.
Der Landwirt arbeitet bei der Brunsterkennung ohne technische Hilfsmittel. Dagegen beobachtet er seine 65 Kühe genau und lässt sich dabei Zeit. Es gibt keine festen Zeiten, an denen er nur Brunsterkennung macht.
Er ist ein echter „Kuhmensch“, dem Kühe wichtiger sind als der Traktor und andere Maschinen. Jede Brunst wird nach dem Melken am PC direkt in das Herdenmanagementprogramm eingegeben.
Tierarzt: “Brunstbeobachtung ist von entscheidender Bedeutung im Fruchtbarkeitsmanagement. Viele Landwirte nehmen sich nicht extra Zeit dafür, sondern achten während der Stallarbeiten auf Brunstsymptome. Auf diesem Betrieb klappt das sehr gut, in anderen gar nicht. Es kommt eben immer auf den Menschen und die Qualität seiner Tierbeobachtung an.“
Zysten nicht abdrücken
Tierarzt: „Follikelzysten behandeln wir meist mit dem OvSynch-Programm. Die erste Behandlung mache ich beim Termin im Betrieb, die Folgebehandlungen macht der Landwirt selber. Dabei achte ich darauf, dass immer neue, saubere Einmalspritzen zum Einsatz kommen. Wir haben früher gern Zysten abgedrückt. Heute wissen wir aus wissenschaftlichen Untersuchungen , dass das nichts bringt und sogar negative Auswirkungen (Verklebungen durch Firbinausschwitzungen) haben kann.
Schlimmstenfalls können Kühe daran verbluten. Das ist mir in meiner langjährigen Tierarztarbeit sogar schon einmal passiert. Am Morgen habe ich eine Eierstockszyste abgedrückt und am nächsten Tag lag die Kuh mit blassen Schleimhäuten fest. Das war sehr eindrucksvoll.“
III. Trächtigkeitsuntersuchung (TU)
Im letzten Teil des Arbeitsblattes finden wir die Tiere, die zur TU anstehen. Für jede nicht tragende Kuh wird eine Entscheidung gefällt, ob behandelt oder selektiert wird. Die Tierarztkosten für Untersuchung, Behandlung und Datenanalyse werden pro Stunde abgerechnet. In der Regel dauern die genanten Untersuchungen 1 ½ Stunden.
Hochleistungskühe im Mittel zu dünn
Nach dem Tierarztbesuch trägt der Landwirt die BCS–Note jeder untersuchten Kuh auf eine vorgedruckte BCS–Kurve ein, die schnell einen Überblick verschafft, wo Schwachstellen im Fütterungsmanagement sind. Die BCS–Kurve zeigt, dass die Hochleistungsherde sowohl in der Frühlaktation (20% der Tiere) und der mittleren Laktation (20%) als auch zum Trockenstellen hin (32%) unterkonditioniert ist. Vor allem in den ersten 30 Laktationstagen verlieren die Tiere erheblich an Kondition. Bei Konditionsverlusten von mehr als 0,5 Punkten innerhalb von 30 Tagen leidet in jedem Fall die Futteraufnahme, und das führt zur einem Energiemangel.
Überbelegung bremst die Futteraufnahme
Landwirt: „Meine Kühe geben immer viel Milch, auch wenn sie lahm oder krank sind. Das ist das Problem, da sie dann so sehr an Kondition verlieren.“
Tierarzt: „Das Problem der mageren Hochleistungskühe haben wir hier schon länger. Eine Schwachstelle ist die Trockensteherhaltung und –fütterung. Die Frühtrockensteherration ist mit mehr als 6 MJ NEL zu energiereich (Ziel: 5,6 MJ NEL). Am schlimmsten aber ist , dass der Stall überbelegt ist: Nach der Kalbung kommen Kühe und Färsen in eine bereits überbelegte Herde. 65 melkende Kühe teilen sich nur 50 Liegeboxen und 52 Fressplätze. Dieser Eingliederungsstress führt zu einem Rückgang der Futteraufnahme und verschlechtert die Körperkondition.“